Prof. Hans Küng (76) ist ermeritierter Professor für ökumenische Theologie und Direktor des Institutes für ökumenische Forschung, Tübingen D. Er ist Präsident der Stiftung Weltethos. Seit über zwei Jahrzehnten sind Weltreligionen zentrales Thema von Hans Küng.
In seinem neuen grossen Werk bietet der Autor eine profunde Gesamtdarstellung des Islam: Er beschreibt die Paradigmentwechsel im Lauf seiner 1400-jährigen Geschichte, zeichnet die unterschiedlichen Strömungen nach schichtet die Positionen des Islam zu den drängenden Fragen der Gegenwart.

Küng Hans: Der Islam   Geschichte - Gegenwart - Zukunft   891 Seiten  ISBN: 3-492-04647-9, CHFR 52.20

 

Was ist der Islam?




Arroganz und Ignoranz sind Todfeinde des interreligiösen Dialogs. Viele, die über den Islam reden, wissen nicht einmal, was das wort "Islam" bedeutet: sich Gott ergeben! Der Islam ist also eine Religion derer, die sich zu solcher Ergebung in Gott bekennen. Also Muslime wie sie im Koran immer wieder genennt werden.

Für Juden ist das typische Symbolbild der fromme Jude mit der Tora-Rolle. Für Christen die Abendsmahlfeier. Für Muslime ist es eben das gemeinsame Ritualgebet: vor Gott niederwerfen und mit der Stirn den Boden berühren. Ein Ausdruck tiefer Ergebenheit - alleine oder von Scharen in grossen Moscheen.

Zentral geht es im Islam nicht um ein neues Gesellschaftssystem, eigentlich auch nicht um eine politische Ideologie. Nicht einmal um eine Theologie. Vielmehr um die ganz praktische Hingabe an Gott. Im Gebet, in der Glaubenshaltung, in bestimmten Riten. aber auch in Pflichten gegenüber Gott und den Mitmenschen.

Der eine Gott steht unverrückbar im Mittelpunkt, und das Bekenntnis zum einen und einzigen Gott ist erste und vornehmste Plicht eines jeden Muslime. Grundlage und Sinn seiner Existenz, Unerschütterliches Fundament der muslimischen Gemeinde und ihrer Rechtsordnung. Inhalt des muslimischen Ritualgebets.

Fromme Christen die fälschlicherweise meinen, die Muslime würden einen "anderen Gott" anbeten, mögen bedenken: die Bezeichnung "Allah" ist kein muslimischer Sondername, sondern nur das normale arabische Wort für Gott. Auch die arabischen Christen nennen Gott "Allah".

Ein Grund für die erstaunlichen Missionserfolge des Islam: Diese Religion kennt keine komplizierte Dogmatik wie das Christentum, von einem einzigen in drei Personen und einem menschgewordenen Gott. Sein schlichtes Glaubensbekenntnis: "Kein Gott ausser Gott und Mohammad sein Prophet!".

Auch die Hauptplichten, die vier weiteren "Säulen des Islams", sind einfach und klar:

- tägliches Plichtgebet,
- alljährliche Sozialabgabe,
- alljährliche Zeit des Fastens im Monat Ramadan, - grosse Pilgerfahrt nach Mekka, wenn möglich einmal im Leben.

Wer ehrlich Dialog führt wird neben den Übereinstimmungen auch Differenzen entdecken.
Anderes als die Christen sehen die Muslime:
- Die Stellung Jesu: der von Juden und Christen zugemeinsamen Gott wird zwar von den Mulslimen auch verehrt aber nicht zu Gott   vereint.
- die Stellung des Propheten Muhammad; Als "Siegel der Propheten" überholt er alle vor ihm auch Jesus.
- der Koran: das islamische Gegenstück zu der christlichen Bibel. Die reine Lehre bezeichnet.

 

Wer war Muhammad?




Keine Verwischung der Unterschiede! Der Dialog zwischen den Religionen muss auch die wahren Differenzen ernst nehmen. Und Unterschiede gibt es unbestreitbar zwischen dem Propheten und den Christus der Christen.
Was immer von den Kirchen im Laufe der Jahrhunderte praktiziert wurde -Jesus von Nazaret selber tritt ein für Gewaltlosigkeit, Versöhnung, Liebe unter den Menschen.

Selbst die im Neuen Testament erzählte "Tempelreinigung" bei der Jesu die Händler mit Gewalt aus dem Tempel hinaustrieb, ist kein politisch motivierter Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht. Sie ist ein prophetisch-sympolischer Akt gegen den Kommerz des religiösen Tempel-Establishments.

Ganz anders der Prophet Muhammad. Zwar werden an ihm in der Überlieferung auch Güte und Versöhnungsbereitschaft gerühmt. Doch er hatte sich in Mekka durch seinen prophetischen Ruf nach Gerechigkeit bei den Handelsleuten unbeliebt gemacht und entschloss sich zur Emigration nach Medina. Dort stand er in einer völlig anderen Situation als Jesus. Jesus hatte es zutun mit der militärisch und politisch gut organisierten Weltmacht Rom. Muhammad mit mehreren rivalisierten Stämmen Arabiens, die ihn um Vermittlung gebeten hatten. Muhammad war faktisch gezungen zum Staatsmann zu werden.

Und angesichts der bald folgenden Angriffe Mekkaner auf Medina wurde er zum Heerführer und musste Schlachten schlagen. Die Gemeinde Medina wurde zum Kern für die spätere muslimische Gemeinschaft "Umma" genannt.

Muhammad kann mann nur verstehen, wenn man ihn ernst nimmt: Seine eigentliche Triebfeder war die Verkündigung einer prophetischen Botschaft. Aus religiösen motiven wollte er das Leben des Einzelnen under Gemeinschaft gestalten. Dafür setzte er allerdings auch die damals (auch im christlichen Bereich!) üblichen Gewaltmittel ein. Ein höchst realistischer Politiker, der wie alle Menschen anspruch darauf hat, an seiner Zeit gemessen zu werden.

Wir Heutigen, wie auch die überwältigende Mehrheit der heutigen Muslime, missbilligen zu Recht Gewaltanwendung als Mittel zum Zweck, zumal aus religiösen Motiven, und lassen sie nur zur Selbstverteidigung zu.

Der Prophet hat die Araber auf das Niveau einer monotheistischen Hochreligion mit ansruchsvollem Ethos gehoben und durch den Koran und sein persönliches Vorbild unzähligen Menschen Mut und Kraft zu Lebensgestaltung gegeben. Für die Muslime ist er der grosse religiöse Reformer, Gesetzgeber, politische Führer, der Prophet Gottes schlechthin.

Doch bei all dem bleibt Muhammad für die Muslime ein Mensch mit stärken und Schwächen.
Er wird nicht mit Gott gleichgesetzt wie Jesus Christus im christlichen Dogma. Deshalb ist falsch und abwertend, Muslime als "Muhammedaner" zu bezeichnet. Nicht Muhammad ist schlussendlich die Quelle der Offenbarung sondern allein ihr heiliges Buch der Koran.

 

Was ist der Koran?




Der Prophet Muhammad - das Zentrum des Islam? Gerade nicht: Quelle und Norm islamischen Glaubens, Handelns und Lebens ist der Koran. Ihm kommt für Muslime höchste Autorität zu. Er nimmt für sie den Platz ein, den für die Christen Jesus Christus innehat.

Was ist der Koran? Er ist das Buch in welchem alles steht, was Gott dem Propheten Muhammad direkt offenbart hat. Es kündigt "Islam" wörtlich: "sich Gott hingeben". Es enthält spirituelle wie ethische Aussagen. Lehr-Ehrzählungen, Gesetzestexte und Verhaltensnormen für die Gemeinde. Viele aus der Bibel bekannte Personen und Geschichten kommen - in anderer Perspektive - auch im Koran vor: Abraham, Moses, David,Jesus,Maria...

Als Vorteil erscheint den Muslimen: Der Koran ist ein einheitliches Buch. Nicht wie die Bibel; Altes/ Neues Testament, zahlreiche andere verschiedene Zusatzschriften.
Vom selben Propheten wurden Offenbarungen während 22 Jahren nach und nach übermittelt. Erst nach Muhammads Tod wurden sie der Länge nach geordnet in 144 Abschnitte ("Suren"): die längsten vorne, die kürzeren hinten.

Bis heute wichtig: Der Koran ist ein arabisches Buch; mit seinen 6666 Versen das älteste arabische Prosawerk überhaupt. Seither sind auch die Araber wie Juden und Christen stolze Schriftbesitzer: "Leute des Buches". Durch den Koran wurde das Arabische die heilige Sprache der gesamten muslimischen Welt, ähnlich wie lange Zeit das Latein für das Abendland.

Übersetzungen können nach muslimischen Ansicht seinen Gehalt nur unvollkommen wiedergeben. Und man muss schon die arabische Sprache beherrschen, um auch die ästhetische Kraft dieses Buches zu spüren. Durch die eindringliche Melodie seiner Verse und den oft leidebschaftlichen Rhythmus seiner Sprache vermag es Menschen buchstäblich zu ergreifen. Denn für Muslime ist der Koran ein lebendiges Buch. Nicht vorallem schweigend zu lesen, vielmehr öffentlich laut zu rezitieren. "Qur'an" kommt vom Verb "qara'a" laut lesen vorlesen".

Doch das Allerwichtigste: Der Koran ist ein heiliges Buch. Nicht wie jedes andere auch mit schmutzigen Händen anzurühren und in unlauterer Gesinnung (unkonzentriert) zu lesen. Zuvor sind die Hände mit Wasser oder sympolisch mit Sand zu reinigen und ist ein Gebet zu sprechen. Weil dieses Buch für Muslime ganz direkt Wort Gottes ist.

Allerdings meinten schon im muslimischen Mittelalter und heute wieder manche muslimische Gelehrte, das der Koran von Gott"geschaffen" ( nicht "ungeschaffen") und deshalb auch des Propheten Muhammad Wort sei. Müssen Mulslime wie auch Christen lernen das diese Heigen Schriften zwar Gottes Wort sind, aber von Menschenwort vermittelt. Diese Frage wird gegenwärtig leidenschaftlich diskutiert.Eine Klärung braucht Zeit.

 

Wie wurde der Isalam zur Welt-Religion?




Durch Feuer und Schwert meinen bei uns viele. Keineswegs, antworten kundige Muslime. Wie war es also?

Nicht zu bestreiten, Reiterheere des von Muhammad geeinten Arabien besetzen nach Muhammads Tod in einer ersten Eroberungswelle erstaunlich rasch Syrien, den Irak Ägypten und errichten in einer zweiten Welle das riesige arabische Reich der Umaiyaden von Indien bis Spanien auf.

Wie für die alten Schweizer Landsknechte ist die Aussicht auf Sold und Beute wichtig, doch die religiöse Motivation kommt für die damaligen muslimischen Krieger hinzu. "Kampf" ("Dschihad") gegen die "Ungläubigen" für die "Sache Gottes".

Dennoch, es kommt damals nicht zu Zwangsbekehrungen ganzer Dörfer, Städte, Religionen. Man war zwar imperialistisch an der territorialen Ausweitung des arabischen Reiches interessiert. Aber nicht, missionarisch, an der geistigen Ausbreitung der islamischen Religion. Das Kalifatsregime hilft sogar christlichen Kirchen im Irak und in Agypten sich zu reorganisieren.

Also zunächst kein religiöser Bekehrungseifer, trotzaller wirtschaftlicher Ausbeutung der eroberten Gebiete - Toleranz, die oft grösser war als die der Christen. Allerdings nicht gegenüber den "Ungläubigen" im strengen Sinn, den Polytheisten, den Götzendienern". Wohl aber den "Schriftbesitzenden" den Juden, Christen, iranischen Zoroastriern. Die Eroberer ziehen es vor, dass die Eroberten Kopfsteuer bezahlen, statt sich zum Islam zu bekehren. Allerdings bleiben sie dadurch Bürger zweiter Klasse mit eingeschränkten Rechten.

Erst mit der revolutionären "Wende" Paradigmenwechsel um 750 vom arabischen Reich der Umaiyaden (Damaskus) zum islamischen Weltreich der Abbassiden (Bagdad) wird der Islam aus einer islamischen Religion zu einer Weltreligion: eine nun alle eroberten Völker umfassende islamischen Universalreligion. Jetzt betreibt man oft eine aggresive Isalmisierung dieser Völker.

Nur in geschlossenen christlichen Gebieten Syriens, Mesopotamiens und Ägyptens vermag das Christentum wirksam Widerstand zu leisten.

Die weitere Ausbreitung des Islam erfolgt durch militäreische Besetzung auch in Westafrika, im Sudan und später auf dem Balkan. Aber in Indien und Südostasien breitet sich der Islam aus durch Handelsnetze, Familienbeziehungen und Sufi(Mystiker)-Gemeinschaften und hat dort einen anderen Charakter.

Heute zählt der Islam weltweit 1,3 Milliarden Anhänger. Er ist nach dem Christentum die zweitgrösste Weltreligion, Tendenz steigend. Für die bisher in der Welt dominierende, aber jetzt in manchen Gebieten träge und kraftlos gewordene Christenheit eine vielleicht heilsame Herausforderung sich geistig zu reformieren. Man sollte ihr nicht mit Angst und aggressivität begegnen, sondern in kritischen Offenheit und selbstkritischer Besonnenheit.

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