Der Eröffnungszug in Frutigen: Hunderte von Ehrengästen waren am 28. Juni 1913 zu den Feierlichkeiten eingeladen.

©2016 Gemeindenblick Bern Switzerland

 

 

Wege über die Alpen
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Seit der Römerzeit bestand zwischen Italien und den nördlichen Provinzen ein System von Wegen
und Saumpfanden über die Alpen. Befahrbare Pässe gab es jedoch bis in die Neuzeit nicht. Wagen mussten 
zerlegt werden und mit Tragtieren über die Berge transportiert werden. Erst Napoleon I. liess eine Reihe 
von Passstrassen bauen, im 18.Jahrhundert. Davor gab es allen Mühe zum Trotz viel Verkehr entlang diesen
Handelsrouten über die Alpen.
Während in Östereich-(Ungarn) 1867 schon die ersten Eisenbahnzüge durch die Alpen fuhren, war sich die Schweiz 
lange uneinig über Projekte wie; über den Lukmanier, oder Splügen, Greina, Gotthard, Grimsel oder Simplon. 
Italien und Frankreich realisierten 1871 ihr eigenes Alpenbahnprojekt von Lyon nach Turin. Noch im gleichen 
Jahr wurde ein internationales Geldgeberkonsortium gegründet zum Bau des 15km langen Gotthardtunnels. 
Am 1.Juni 1882 war die Eisenbahnlinie fertiggestellt, mit Verbindung bis Chiasso. 
1898 wurde der Simplontunnel (20km) gebaut mit grosser finanzieller Beteiligung von Frankreich.
1906 wurde die Strecke von Brig über Iselle nach Domodossola fertiggestellt.
Von 1908 bis 1913 wurde mit Hilfe Frankreichs die Lötschbergbahn realisiert, womit Bern gegen Süden zu einer 
wichtigen Transitachse wurde.
Die Lötschberglinie wurde 1911 bereits auf die neue, heute übliche Art elektrifiziert, mit der 1-Draht
Oberleitung. Der Simplontunnel der 10 Jahre früher gebaut wurde, verblieb noch 17 Jahre mit der
alten Elektrifizierungart. Die Simplonlinie von Brig-Iselle-Domodossola wird von der SBB betrieben. 
Als Vergleich der Gotthardtunnel von 1880, wurde bis 1923 mit Dampflokomotiven betrieben. 2007 dann wurde der 
neue zusätzliche BLS-Lötschbergtunnel (34 km) fertiggestellt, mit Verbindung von Frutigen durekt ins Wallis. 
Die zweite Röhre wurde leider nicht fertigestellt, und endete 7 km vor Frutigen und verblieb in der Rohversion.
2016 nach 18jähriger Bauzeit wurde nun der neue Gotthardeisenbahntunnel fertiggebaut.Mit einer Gesamtlänge
von 58 km der aktuell längste Tunnel der Welt.


Bau der Lötschbergbahn 1906- 1013 in Kandersteg im Berner Oberland
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Auf dem Friedhof von Kandersteg steht ein gut 100 Jahre altes einfaches Denkmal.Auf einer auf dem 
Stein angeschraubte Metallplatte sind 25 italienische Namen zu lesen. Sie gehören den Opfern der
grössten Katastrophe, die sich während des Baus des Lötschbergtunnels ereignete. Am 28.Juli 1908
schoss nach einer Sprengung Schlamm und Geröll aus dem darüberliegenden Gasterntal in den Stollen.
Nur ein Toter wurde noch gefunden und auf dem Friedhof beigesetzt, stellvertretend für die anderen
24 die der Berg begrub.

Als Ironie des Schicksals wurden sie mit Namen festgehalten. Von den vielen Hundert anderen Arbeitern,
die für einige Jahre im Berner Oberland lebten und schufteten sind keine Spuren geblieben. Ausser den
fertiggestellten Lötschbergtunnels.

Italienerdorf in Kandersteg

In den Baujahren Ende 1906 bis Mitte 1913 prägten besonders die Arbeiter und ihre Familen das Bild von
Kandersteg. In Spitzenzeiten lebten hier mehr als 3000 italienische Staatsangehörige, ein Vielfaches
der damals 455 Einheimischen. Innerhalb weniger Monaten entstand eine zwischen der Baustelle und Dorf
eingeklemmte provisorische Siedlung. In Goppenstein entstand gleichermassen ein zweite Wohnsiedlung.

Während der Tunnelbau gut dokumentiert wurde, interessierten sich Chronisten kaum für den Alltag der
Arbeiter. Bestimmt war das Italienerdorf mehr als nur eine Schlafstätte. Es entwickelte sich ein 
vielseitiges Leben. Das zeigt schon die Tatsache, dass in den Baujahren im Zivilstandskreis Kandergrund 
555 italienische Kinder zur Welt kamen. Rund 1/3 der Arbeiter war verheiratet. Ihre Frauen und Kinder
begleiteten sie häufig. Ulrich Junger der ehemalige Pfarrer von Kandersteg schätzt das etwas 
1000 Angehörige vor Ort waren. Er befasste sich nach seinem Amtsantritt im Jahr 1955 mit dem Thema
und sprach mit damaligen Zeitzeugen.

Schule, Spital und Unterhaltung

Mit den Arbeitern kamen andere Berufsleute, Händler, Wirte, Bäcker, Friseure und Schuhmacher. Sie
folgten den Arbeitern von Baustelle zu Baustelle. Viele haben schon am Bau des Simplontunnels bis 1906
mitgearbeitet. Mit zum Tross gehörte auch der Schwesternorden Suore Giuseppine aus Cueno. Die Nonnen
pflegten die Patienten im Bauspital und unterrichteten an der italienischen Schule. Die Arbeit am
Tunnel war reine Männerarbeit. Ausserhalb des Berges machten sich aber auch Frauen als Haushälterinnen,
Köchinnen oder Kellnerinnen nützlich.
Auch sonst entstand ein vielseitiges Unterhaltungsangebot rund um den Tunnelbau. So wurden
auch Filmvorführungen im Arbeiterdorf und auch im Hotel National. Ebenfalls spielte die eigene
Musik der Bergbauleute. Auch in den zahlreichen Gasthäusern ging es immer hoch zu und her vorallem
an Sonntagen wenn gespielt und getanzt und getrunken wurde. Musste doch die Polizei immer wieder
ausrücken und Betrunkene in Gewahrsam zu nehmen und Streithähne zu trennen.

Kultur der Bedürfnislosigkeit

Die Vergnügungen bildeten den Kontrast zum Alltag der Tunnelarbeiter, der äussert hart war. Mit dem
knappen Lohn von 3.30 bis höchstens 6 Franken am Tag liess sich nur das Nötigste kaufen. Ein Kilo
Brot kostete 40 Rappen eine Portion Fleisch mit Gemüse deren 50. Trotzdem haben die Arbeiter auf
der Nordseite während der Bauzeit insgesamt 2,2 Millionen Franken gespart und nach Italien 
geschickt. Die Bauarbeiter lebten ein Kultur der Bedürfnislosigkeit, die schon gelebt wurde beim
Bau des Gotthardtunnels 1872- 1882.
Das trifft auch auf die Unterkünfte zu. Wie Pilze schossen barackenähnliche oft dreistöckige
Wohnhäusern aus dem Boden beschreibt Pfarrer Junger. Im Erdgeschoss der Wohnbaracke befand sich
die Kantine, darüber befanden sich jeweils die Schlafräume, wo auch Familien Einzelabteile
mieten konnten. Ebenfalls konnten Familien auch bei Privaten untergebracht werden.
Die Wohnbedingungen waren zeitweise so prekär das die Gemeindeveranwortlichen Vorschriften
erlassen musste um Mietverhältnisse besser zu regeln. Behörden stellten grosse Mängel fest an
der sanitären Einrichtungen. Schliesslich ging es auch darum kein negatives Bild abzugeben der 
Region die sich ja immer mehr zu einem Fremdenverkehrsort entwickelte.

Tunnelbau in den Alpen & Wirtschaftsförderung

Schweizer und Einheimische waren bei der französischen Konsortium Entreprise Generale de Lötschberg
EGL in leitenden Positionen und Verwaltung und als Ingenieure tätig. Lange Zeit war die Schweiz
ein Auswanderungsland. Erst so ab 1880 kam es langsam zur Verbesserung der Wirtschaft.
Italien hatte zu dieser Zeit einem grossen Geburtenüberschuss und gleichzeitig kam es zu
Strukturprobleme in der Landwirtschaft mit negativen Folgen bei der Beschäftigung. So haben in
den folgenden Jahrzehnten bis 14 Millionen Italiener ihr Heimatland verlassen und so auch in 
Schweiz Verdienst und Arbeit gefunden haben.
Trotz teilweise prekären Situation waren die Arbeiter gewerkschaftlich gut organisiert und waren
klassenkämpferisch. Sie haben auch eine betriebseigene Taggeldversicherung gegründet mit Mithilfe
der Bauunternehmung. Im Ortsmuseum kann noch die Vereinsfahne bewundert werden mit der Aufschrift
Umanità - Egualianza - Lavoro (Menschlichkeit - Gleichheit - Arbeit).
Die Unfallversicherung wiederum war Sache der Bauunternehmung. Bei Todesfall wurde Hinterbliebenen
mit 6000 Franken entschädigt. Insgesamt kamen beim gesamten Bau zu 116 Todesfälle, und
12'000 Mal kam es zu Arbeitsausfälle von 5 Tage und länger.
Zum Verhältnis der einheimischen Dorfbevölkerung mit der angereisten Arbeiterschaft aus Italien,
ist nur noch in Fragmenten zu erfahren. Zu ernsthaften Probleme ist offenbar nicht gekommen.
Kandersteg Durchgangsort des Lötschbergpasses und Gemmi war ja gewohnt mit Fremdländischem umzugehen. 
Zudem kamen die Bauleute ja auch für ein Bauwerk zu erschaffen wo zum Allgemeinwohl beitragen soll.
So ganz ohne Bedenken ist es aber dann doch nicht abgelaufen. So fürchteten doch einheimische 
Gewerbeleute sich schon gelegentlich vor der neuen Konkurrenz, die oftmals neuartigen Produkte 
mitbrachten. Die Sittenpolizei etwa schrieb im Amtsanzeiger, Mädchen vom Kandertal nehmt 
euch während der Bauzeit schön in Acht. Ein einziger Fehltritt kann euch in ein 
lebenslanges Unglück stürzen. Tatsächlich kam es zu keiner Hochzeit zwischen einem 
Schweizer und einer Italienerin, und nur 6 Schweizerinnen verheirateten sich mit angereisten 
Italienern. Auch wenn unter den grössten Teil jüngeren Bergbauleuten das Interesse 
durchaus vorhanden war.

Die Nomaden ziehen weiter

Die Behörden nahmen insgesamt eine geduldige und recht neutrale Haltung ein. Kandersteg vergrösserte
1908 seine Dorfschule. Sie nahm neben den Kinder von am Tunnelbau beteiligten Schweizer auch
von Italienischen an, sofern sie gute Leistung brachten. Die meisten besuchten allerdings die von den
Nonnen betreute Italienische Schule, wo die Gemeinde auch ein kleines Schulhaus baute. Schliesslich
bezahlten die Italiener ja auch Schulsteuer. Das Gebäude wurde 1913 nach Grenchen gezügelt,
sowie viele andere Bauten und Baracken, wo 1911 der Grenchenbergtunnel in Angriff genommen wurde.
Zu dieser Zeit wurden zahlreiche Bauprojekte realisiert. In Trimbach war der Hauensteintunnel am
Entstehen (1912-1916). Weiter wurden auch am Goppensteintunnel in Naters Arbeiter benötigt. So
haben mit der Zeit die italienischen Tunelbauleute das Kandertal wieder verlassen.

Quellenangabe : Der Bund  2013